Mittwoch, 26. Januar 2011

Die Entstaatlichung in der „dritten Welt“ - unter der Berücksichtigung Afrikas: Teil 3

Motive für eine Entstaatlichung:

„Paradoxically, rulers of the institutionally weakest states, which face the most severe threats from strongmen and the most intense pressure from outsiders, are the most consistent and thorough in destroying remaining formal state institutions - the very tools advocates of reform regard as the key to regime capabilities.“
                                    -William Reno- (1)

Neben den zahlreichen Gründen der Entstaatlichung gibt es aber vor allem noch Motive, die eine Rolle spielen. So kann man, wenn man die bereits erwähnte Personifizierung des Staatswesen bedenkt, konstatieren, dass eine Verstärkung der Einrichtungen der inneren Sicherheit in diesen auch zu einer Bildung von so genannten „Strongmen“ führen kann, die danach trachten, ihren Einfluss zu vergrößern. (2)
Die Herrscher personifizierter Staatssysteme versuchen aus diesem Grund eine Bildung dieser „Strongmen“ zu verhindern, indem sie das staatliche Heer gezielt schwächen.(3) Hinzu kommt, dass viele Regime durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen sind und nun durch die selben Taktiken gefährdet werden, die zuvor selbst angewandt wurden.(4) Da in diesen Gebieten eine ethnische Zugehörigkeit, familiäre Beziehungen oder politische Verbindungen mehr zählen als eine Loyalität zum Staat, ist die Angst vor einem Staatsstreich nicht unberechtigt.(5) Nichts desto Trotz ist eine solche Schwächung auf lange Sicht hin gefährlich, wie es der Fall von Sierra Leone zeigt. Nach Jahren der systematischen Schwächung war das Land Anfang der 1990er den Rebellen der RUF schutzlos ausgeliefert, obwohl diese aus Kindersoldaten und schlecht organisierten Soldaten bestand.
Ein weiteres Motiv ist die Sicherung der, für die Staaten lebenswichtigen, Ressourcen. Diese sind gerade für so genannte „Failed States“ oft die einzige Möglichkeit, am Leben zu bleiben, da durch diese Rohstoffe meist die Waffen oder sogar PMCs/PSCs bezahlt werden. Die Bereitschaft, Mineralien, Öl oder Tropenhölzer als Bezahlung zu verwenden, ist mittlerweile zu einem gängigen Prozedere mutiert. Rohstoffe sind auch oft der Grund, wieso PMCs/PSCs angestellt werden. Die relevanten Einnahmen kommen meistens nur aus vereinzelten Regionen, die aufgrund ihres ökonomischen und strategischen Wert gesichert werden müssen. Der Rest des Landes ist in weiterer Folge unwichtig. Nur die Hauptstadt wird noch benötigt, um international anerkannt zu bleiben. Es entsteht eine symbiotische Beziehung mit ausländischen Konzernen und durch die erfolgte Schwächung des Militärs ist nur noch ein externer Akteur fähig diese, für den Staat so wichtigen, Einkommensquellen zu schützen.(6) Ausländische Firmen gehen aber noch viel weiter: Sie ersetzten die zerfallenden Institutionen des Staates und spielen wichtige politische Rollen, indem sie dem Machthaber helfen, die Opposition und etwaige „Strongmen“ unter Kontrolle zu halten.(7) Aus diesem Grund haben weder Firmen noch die Staaten selbst ein Interesse an einer Reglementierung von privaten Militär- und Sicherheitsfirmen. Denn beide verdienen auf diese Weise genügen Geld, um zu überleben.(8)
Dies gilt aber auch für die Territorien, die von Warlords kontrolliert werden. Diese wollen keinen Staat etablieren und lehnen eine wirtschaftliche Entwicklung ab, da sie von Kontrahenten genützt werden könnte. Deshalb erfolgt auch hier eine Übertragung an externe Akteure, womit potentielle Konkurrenten von einer Versorgung abgeschnitten werden. Des Weiteren wird der eigene Wohlstand durch das meist bessere „Know How“ der hinzugezogenen Konzerne und deren Verbindungen maximiert. In weiterer Folge übernehmen diese externen Unternehmen auch staatliche Funktionen, indem sie für ihre eigene Sicherheit sorgen.(9)

Entstaatlichung von Gewalt - Söldner - PMCs/PSCs:

Das Problem von scheiternden Staaten, die Monopolstellung über die Gewalt sowie die Autorität im eigenen Land zu verlieren, hat weitreichende Folgen. Seien es interne Machtkämpfe oder einfach eine geschwächte Armee; die Sicherheit im Land, für Mensch und Material, ist nicht mehr gewährleistet. Deshalb muss der Staat die sicherheitstechnischen Belange aus seinen Händen geben und private Akteure hinzuziehen. Peter Lock ist der Überzeugung, dass die gesellschaftlichen Veränderungen umso schwerwiegender sind, je schwächer der Staat ist. Es entsteht eine „ökonomische und psychologische Dynamik“, die soziale Ungleichheiten eskalieren lässt. Lock hierzu: „Persönliche Sicherheit transformiert sich von einem allgemeinen Grundrecht zu einer Ware, über deren Verteilung auf einem Markt letztlich die Kaufkraft des einzelnen entscheidet.“(10)
Vines unterscheidet grundsätzlich zwischen drei Arten von „Söldnern“. Dies wären die klassischen Söldnerfirmen, die Private Military Companies, die quasi söldnerähnliche Aktivitäten verrichten sowie letzten Endes Private Security Companies.(11)
Seit den 1990er Jahren ist Afrika von einer signifikanten Nachfrage für Sicherheitsdienstleistungen geprägt, die von einem Zuwachs von Gewalt, Terrorismus und Kriminalität gezeichnet ist. Allein in Südafrika gibt es laut Alex Vines an die 5939 Firmen, die dieser Nachfrage nachkommen.(12)
Die Übergänge verschwimmen zwischen den drei Typen, was eine genaue Definition erschwert. Sicher ist, dass der Großteil der Firmen auch eine dementsprechende Firmenstruktur besitzt, in der auch eine Informationsbeschaffung sowie geeignete Werbemassnahmen enthalten sind. Personalprobleme bestehen grundsätzlich nicht, da sich die Firmen ihre Mitarbeiter sprichwörtlich aus der Masse von ehemaligen Soldaten „herauspicken“ können.(13)

Das Aufkommen von PMCs/PSCs:
Die wohl bekannteste unter den PMCs, Executive Outcomes, erregte zwar während den frühen 1990er Jahren weitreichendes Aufsehen, die erste Firma in diesem Metier war sie jedoch nicht. Vor dem Ende des Kalten Krieges wurde der Markt nämlich bereits von einigen britischen Firmen bedient, die auch in Afrika tätig waren. Ein Beispiel hierfür wäre die in den 60er Jahren gegründete Firma WatchGuard, die hauptsächlich aus ehemaligen Elitesoldaten des britischen SAS bestand.(14)
Diese Firma trainierte die Spezialeinheiten diverser Sultanate im persischen Golf, bis sie sich Kevin O‘Brien zufolge in den 1970er Jahren zu Kulinda Security Ltd. entwickelte und Aufträge in Kenia, Zambia, Tansania und Malawi durchführte.(15) Der Gründer der Firma, David Stirling, war auch in Capricorn Africa  involviert, eine Organisation, die nach dem Zweiten Weltkrieg afrikanische Nationalisten in Tansania, Kenia oder Rhodesien davon überzeugen sollte, von einer  Mehrheitsregierung abzusehen und eine weiße Elite zu akzeptieren.(16)
Eine weitere Firma ist die 1981 gegründete Defence Systems Ltd. [DSL], die als international anerkannte Firma einen Gegenpol zu kleineren, seit den 1960er Jahren nach SAS Soldaten werbenden Firmen bildete. DSL distanzierte sich explizit von Söldnern und betont bis heute, dass es eine rein für Sicherheit zuständige Firma ist.(17)

Söldneraktivitäten in Afrika:
Aber nicht nur privaten Firmen waren im militärischen und sicherheitstechnischen Bereich in Afrika tätig, auch eine Vielzahl von Söldnern war in den diversen Konfliktregionen tätig.
Bereits 1961, während einer Krise im Kongo, wurden von Moise Tshombe, dem Premierminister des Landes, 500 Söldner angeheuert, die von den berühmt, berüchtigten Christian Tavernier, Jaques Schramme und ‚Mad‘ Mike Hoare angeführt wurden. Die UNO hatte, den Ausführungen Musah‘s und Fayemi‘s zufolge, zwar eindeutig die Verwendung dieser Personengruppe verurteilt, die unterstützenden Länder - Belgien und Frankreich - schenkten dem jedoch keine Beachtung, da sie ihre Präsenz vor Ort nicht verlieren wollten.(18)
Dies zeigt deutlich, dass die ehemaligen Kolonialmächte noch oft mit Söldnern „unter einer Decke steckten“ und sie als langen Arm für ihre jeweiligen nationalen Interessen verwendeten. So auch im nigerianischen Bürgerkrieg um Biafra, wo französische Söldner auf der Seite der Sezessionisten agierten, während Ägypter auf nigerianischer Seite die Kampfflugzeuge flogen.(19)
Viel spektakulärer war der 1978 durchgeführte Staatsstreich auf den Komoren, der von einer Söldnergruppe unter der Führung von Bob Denard erfolgreich durchgeführt wurde und ihn für die kommenden Jahre als inoffiziellen Herrscher der Inselgruppe einsetzte.(20) Dieser Coup soll nach der Anleitung des Bestseller Romans „The Dogs of War“ von Autor Frederick Forsysth durchgeführt worden sein. Angeblich hatte jeder der Söldner eine Ausgabe im Gepäck, die quasi als Anleitung diente.(21) 1981 wurde ein ähnlicher Versuch auf den Seychellen in Angriff genommen, dieses Mal von Mike Hoare. Dieser schlug jedoch fehl und Hoare konnte nur knapp entkommen.(22)
Als weltweit die Meinung vorherrschte, dass von Söldner herbeigeführte Staatsstreiche in Afrika der Vergangenheit angehören und nur noch in schlechten Filmen zu sehen sind, wurde die Welt eines Besseren belehrt, als eine Gruppe von Südafrikanern 2004 in Simbabwe verhaftet wurden. Unter der Führung von Simon Mann, der immer wieder mit Executive Outcomes in Verbindung gebracht wird, und der Mithilfe vom Sohn Margaret Thatchers, Mark, sollte ihn Equatorial Guinea ein Staatsstreich durchgeführt werden, der den dortigen Machthaber Obiang Nguema absetzen sollte. Während Mark Thatcher mit einer enormen Geldstrafe davonkam, musste Simon Mann und die anderen Söldner eine Haftstrafe in Simbabwe absitzen. Simon Mann wurde in weiterer Folge  nach Equatorial Guinea überstellt und auch dort vor Gericht gestellt.(23) Im November 2009 wurde er jedoch frühzeitig entlassen und nach Großbritannien geflogen.(24)
Dieser Coup ist auch insofern interessant, als eine Beteiligung Spaniens vermutet wird, das als ehemalige Kolonialmacht unterstützend einschreiten wollte, sobald Nguema abgesetzt worden wäre.(25)
Eine Bilanz:

Auch wenn sich in manchen Bereichen die Gründe für eine Abgabe des Gewaltmonopols überschneiden, so unterscheidet sich die Entstaatlichung der Gewalt in der „dritten Welt“ gravierend von der Privatisierung derselben in den „westlichen“ Ländern.
Die Gründe für den Verlust der Monopolstellung liegen hier viel tiefer. Allein schon der stetige Verlust an Legitimität sowie das Fehlen von einem allgemein gültigen Verständnis von Staatlichkeit, erschweren die prekäre Situation. Es ist wohl auch eine freiwillige Abgabe zu beobachten, gerade wenn es um die Anstellung externer Akteure geht, sei es, um eine innenpolitische Konkurrenz auszuschließen, oder um die Sicherung der lebenswichtigen Rohstoffe zu gewährleisten. So sind auch viele Faktoren im Spiel, die so manchen Staat gezwungen haben, auf Söldner oder PMCs zurückzugreifen. Auch wenn Umstände wie eine schwache Armee oft selbst verschuldet sind, so ist das Phänomen des „Failed State“ ein Zustand vieler Staaten, in dem nur noch hilflos zugeschaut werden kann, wie sich andere Entitäten ein Gewaltmonopol aufbauen oder selbst für ihre Sicherheit sorgen.
Schwache Staaten und Failed States haben, Deborah Avant zufolge, durch eine Privatisierung bzw. Entstaatlichung vieles zu gewinnen, aber auch zu verlieren. So wird auf kurze Dauer eine Verteidigung oder Sicherung des Staates ermöglicht, um so genügend Spielraum für die Errichtung eines basalen Gewaltmonopols zu haben oder den Anspruch auf Autorität zu sichern.(26) Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass durch eine Entstaatlichung von Sicherheit der lokale Machthaber erst recht seine Einflussmöglichkeiten maximieren kann, um seine eigenen Interessen forcieren zu können.(27)

Jahrzehnte des Konflikts haben aufgrund der geschilderten Umstände den Kontinent gebrandmarkt und Söldner sowie private Sicherheits- und Militärfirmen haben ihren Beitrag dazu geleistet. Sei es zum Guten oder zum Bösen. Söldner sind nach wie vor eine Realität in der afrikanischen Staatenlandschaft, die nicht so schnell verschwinden wird.


DCJ
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Endnoten:
1)William Reno, Warlord Politics and African States. London 1998, S. 7.
2) Eboe Hutchful, Understanding the African Security Crisis. S. 211f.
3) Ebda.
4) Christo Botha, From Mercenaries to ‚Private Military Companies‘: The collapse of the African State and the Outsourcing of State Security, In: South African Yearbook of International Law, 24, 1999, S. 139.
5) Trutz von Trotha, Georg Klute, Von der Postkolonie zur Parastaatlichkeit. S. 2.
6) Christopher Clapham, African Security Systems. S.34.
7) William Reno, Warlord Politics and African States. S. 7.
8) Greg Mills, John Stremlau, The Privatisation of Security in Africa. S. 6.
9)Stefan Mair. Auflösung des staatlichen Gewaltmonopols und Staatzerfalls. S. 106.
10) Peter Lock, Privatisierung der Sicherheit oder private Militarisierung. S. 72.
11) Ebda.
12) Alex Vines, Mercenaries and the Privatisation of Security in Africa in the 1990s. In: Greg Mills, John Stremlau (Hg.), The Privatisation of Security in Africa. Johannesburg 1999, S. 47.
13) Ebda.
14) Kevin A. O‘Brien, Private Military Companies and African Security 1990-98. In: Abdel-Fatau Musah, J. ‘Kayode Fayemi (Hg.), Mercenaries. An African Security Dilemma, London 2000, S. 46.
15) Ebda.
16) Abdel-Fatau Musah, J. ‘Kayode Fayemi, Africa in Search of Security: Mercenaries and Conflicts - An Overview. In: Abdel-Fatau Musah, J. ‘Kayode Fayemi (Hg.), Mercenaries. An African Security Dilemma, London 2000, S. 20.
17) Alex Vines, Mercenaries and the Privatisation of Security in Africa in the 1990s. S. 71.
18) Abdel-Fatau Musah, J. ‘Kayode Fayemi, Africa in Search of Security. S. 20.
19) Ebda.
20) Abdel-Fatau Musah, J. ‘Kayode Fayemi, Africa in Search of Security. S. 22.
21) Al J. Venter, War Dog. Fighting other People‘s Wars, The Modern Mercenary in Combat, Philadelphia 2006, S. Vii.
22) Robert Young Pelton, Licensed to Kill. Hired Guns in the War on Terror, New York 2006, S. 253
23) Cameron Duodo, The last Mercenary? In: New African, No. 476, August/September 2008, S. 10.
24) o. A. Pardoned coup plot Briton freed, 3. 11. 2009 [http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/8339372.stm] eingesehen am 26. 01. 2011.
25) Robert Young Pelton, Licensed to Kill. S. 310.
26) Deborah Avant, The Market for Force. S.59.
27) Ebda.