Montag, 20. Dezember 2010

Das staatliche Gewaltmonopol - Teil 2

Das Gewaltmonopol:

„Der Staat kann nichts geben als Recht, denn sein einziges Mittel ist der Zwang.“
                                - Franz Grillparzer - (1)

Auch wenn Ausführungen wie die Detlef Mertens nicht mehr „up to date“ sein und einige Ausführungen etwaige Nachwehen von 1968 widerspiegeln mögen, so sind sie doch präzise auf den Punkt gebracht. Nämlich, dass der Staat im Interesse aller eine Gesetzesbefolgung erzwingen muss, da ein freier und allgemeiner Gesetzesgehorsam reine Utopie ist. (2)
Der Begriff „Monopol“ wird an und für sich eher in einem wirtschaftlichen Zusammenhang verstanden, wo er für gewisse Bereiche einen Absolutheitsanspruch konstatiert. Dies kann im Falle des Gewaltmonopols jedoch nie möglich sein, da hierfür eine gewaltfreie Gesellschaft benötigt werden würde. Deshalb muss der Staat ständig ein „Gewaltverbot“ durchsetzen können, wobei nur ihm die Mittel es zu erzwingen zugänglich sein dürfen. (3)
Auch wenn es im Staat Institutionen gibt, die eine gewisse Macht ausüben können, um die eigenen Ziele zu erreichen, liegt nur beim Staat das Recht zur physischen Gewalt.(4) Diese Gewalt wird dazu benutzt, Interessenkonflikte zu bewältigen, auch wenn argumentiert wird, dass Gewalt Probleme und Konflikte nur unterdrückt statt diese zu beseitigen.(5) Dennoch ist das Gewaltmonopol ein „vitales Lebensinteresse des [modernen] Staates“.(6) Es garantiert nämlich die Souveränität und damit die Unabhängigkeit nach außen. Und diese Unabhängigkeit besteht nur, solange der Staat das Gebiet, dass von ihm beansprucht wird, unter Kontrolle hat.(7) Diese Souveränität „deutet“ deshalb eine absolute Macht an, auch wenn durch die Deklarierung der selbigen eingestanden wird, dass sie angefochten wird. Auf jeden Fall aber gehen Souveränität und Gewaltmonopol Hand in Hand. Wer das Eine beansprucht, beansprucht auch das Andere und somit die Kapazität, „seinen Willen der Gesellschaft aufzuerlegen“.(8)
Mit dem liberalen Rechtsstaat des 19. Jht erfolgte ein Wechsel von einem majestätischen zu einem rechtlichen Staatswillen, der dem Bürger die „Gewißheit [sic] der gesetzmäßigen Freiheit“ gibt. „Gewalt und Zwang“ werden nur mehr „aufgrund eines Gesetzes“ gegen den Staatsbürger gerichtet.(9) Des weiteren wird mithilfe des Gewaltmonopols eine potentielle Selbstjustiz -zumindest im Idealfall- verhindert und durch eine Fremdjustiz ersetzt. Dadurch wird gewährleistet, dass legale, nichtstaatliche Gewalt nur im Sinne der „Gewaltermächtigung“ gegen andere Menschen eingesetzt wird, wie es beispielsweise bei Notwehr und Nothilfe etc. der Fall wäre.(10) Dennoch ist eine legitimierte Gewalt ein „Widerspruch“ laut John Hoffmann, da diese nicht realistisch begrenzt werden kann. Dies ist wohl ein großes Problem der Legitimität. „If we define the state as an institution using force to tackle conflicts of interest, then the legitimacy of the state itself is impossiple.“(11)

Das Gewalt monopolisiert, legitim und lokal begrenzt ist, entspricht der klassischen Definition Max Webers bezüglich des modernen Staates.(12) Der Rechtsstaat benötigt dieses Gewaltmonopol da eine Existenz nach innen nur durch einen Schutz nach außen gewährleistet werden kann; also durch das außer- oder zwischenstaatliche Gewaltmonopol. Die Gewaltanwendung nach außen wurde völkerrechtlich eingegrenzt, ohne jedoch die Option der Selbstverteidigung zu beeinträchtigen. Angemerkt sei hier noch das Problem, dass ein schmaler Grad zwischen einem präventiven Angriff und einer Aggression die Problematik nicht gerade vereinfacht.(13) Die „westfälische Ordnung“ hat zwar „Krieg als Recht“ - lateinisch auch als „ius ad bellum“ bekannt - noch als natürliche Massnahme erachtet; diese wurde jedoch spätestens durch den Briand-Kellogg Pakt im Jahre 1928 und durch ein „Gewaltverbot“ bei internationalen Beziehungen geächtet.(14)
Der Rechtsstaat kann seine sich selbst auferlegten Ziele, wie beispielsweise Frieden und Freiheit, nur dann erreichen, wenn er im Ernstfall auf die Ultima Ratio, nämlich die Verwendung der Gewalt zurückgreifen kann, um diese Ziele notfalls auch zu erzwingen.(15)
Das Gewaltmonopol hat sich vor allem in der „westlichen“ Hemisphäre durchgesetzt, wohingegen andere Regionen der Welt von dieser Entwicklung nicht erreicht wurden. Staaten wie Afghanistan, Somalia oder Liberia, können die Gewalt nicht beim Staat zentrieren.(16)
Damit ist die erfolgreiche  Behauptung staatlicher Gewalt in den meisten Regionen der „dritten Welt“ eine Fiktion. Das Monopol auf eine legitime Gewalt innerhalb des Staates, kann somit als eine Besonderheit der europäisch bzw. westlichen Staatsentwicklung gesehen werden.(17)

Die soziologisch/ philosophischen Standpunkte zum Gewaltmonopol:

Max Weber:

„Staat soll ein politischer Anstaltsbetrieb heißen, wenn und insoweit sein Verwaltungsstab erfolgreich das Monopol legitimen, physischen Zwangs für die Durchführung der Ordnung in Anspruch nimmt.“
                                        -Max Weber- (18)

Max Weber gilt als einer der wichtigsten Theoretiker, wenn es um die Thematik des Gewaltmonopols geht. Andreas Anter zufolge formulierte Weber am klarsten die Bedeutung des Monopols von Gewalt, indem er es als die „unerlässliche Vorraussetzung [für die] [.] Bildung des modernen Staates“ definierte.(19) Die Entstehung eben dieses modernen Staates sieht Weber in der „Monopolisierung, Verstaatlichung und Zentralisierung von Herrschaft“. Den Weg zu dieser Monopolisierung führte Weber jedoch nie detailliert aus.  So ist er zwar der Überzeugung, dass die Verstaatlichung der Gewalt den modernen Staat vom Rest der Herrschaftsformen in der Geschichte der Menschheit unterscheidet, den Weg dorthin, nämlich die allmähliche Entwaffnung der Gewaltinhaber zu analysieren, überließ er anderen Denkern.(20)
Wie bereits erwähnt, sieht Weber nicht nur bezüglich der Gewalt eine Monopolisierung, sondern auch in Feldern wie der Justiz und der Verwaltung. Gleichzeitig ist das Gewaltmonopol aber auch mit der Souveränität verknüpft, die eine Verbindung zwischen innerem Gewaltmonopol und der Gewalt nach außen darstellt. Dabei wendet er sich von der traditionellen Interpretationslinie der Souveränität ab, die Letzterer eine bedeutendere Rolle zuweist.(21) Diesbezüglich ist Weber selbstverständlich vom politischen Umfeld seiner Zeit beeinflusst. Sein Verständnis vom modernen Staat ist laut Anter ein „konsequenter Ausdruck der Staatsauffassung seiner Zeit“, dem Wilhelminismus. Auch wenn diese Zeit von einer „offensiven Weltmachtpolitik“ und vom Nationalismus geprägt ist, so wird Weber doch eine Position im „liberalem Spektrum“ seiner Zeit zugewiesen.(22)
Weber formulierte seine Überlegungen zum Staat jedoch immer abstrakt genug, um das „Phänomen jederzeit einfangen zu können“.(23) Trotz dieser Formulierungen besteht aber kein Zweifel, dass er mit seinem Begriff der Staatlichkeit den modernen Staat meint, da er die Monopolisierung von Gewalt mit den Stadien der Rationalisierung in Zusammenhang bringt, was ein Phänomen der Neuzeit sei.(24)
Die Machterhaltung des modernen Staates wird von Weber nur mittels des Gewaltmonopols erklärt; eine dezidierte Abkehr von der bis dahin üblichen Berufung auf den Begriff der Souveränität. Macht und Gewalt werden auf eine Ebene gestellt, um so erst die Gewalt als Ultima Ratio, also als letzten entscheidenden Schritt, zu ermöglichen.(25) Dabei spricht Weber von der „legitimen, physischen Gewalt“, womit er die Gewalt an die Legitimität des Staates bindet. Er hält aber alle politischen Gebilde für „Gewaltgebilde“, da jede Gemeinschaft auf Gewalt zurückgreift, um die eigenen Interessen zu wahren.(26)

Webers Ausführungen wurden von Norbert Elias oder Walter Benjamin bestätigt. Elias zeigte in „Über den Prozess der Zivilisation“, dass Herrschaftsverbände erst mit einem Gewaltmonopol zu einem Staat werden und somit letzteres zu einer Existenzbedingung wird.(27)
Walter Benjamin stimmte auch damit überein, dass die Monopolisierung der Gewalt ein zentrales Merkmal des Staates sei, da eine gewaltfreie Gesellschaft eine Illusion sei.(28)

Walter Benjamin:

„Rechtsetzung ist Machtsetzung und insofern ein Akt von unmittelbarer Manifestation der Gewalt.“
                                    -Walter Benjamin- (29)

Walter Benjamins Aufsatz „Zur Kritik der Gewalt“ wurde lange Zeit als eine Studie gesehen, die sich mit der Legitimität von staatlicher Gewalt auseinandersetzt. Vor allem Herbert Marcuse vertrat diesen Standpunkt, dessen Ausführungen jedoch nach langen Diskussionen in der wissenschaftlichen Welt nicht mehr volle Gültigkeit zugesprochen werden kann. Mittlerweile wird von der Fachwelt der Standpunkt vertreten, dass Benjamin nicht die Stellung der Gewalt thematisierte, sondern nach den Ursprüngen einer Gewalt suchte, die in der Lage ist, die „Institution des Rechts“ vollständig zu zerstören.(30)
Bei seinen Definitionsversuchen zieht Benjamin die Politik als Quelle der Gewalt heran, wobei er die neuzeitliche Tradition, die Gewalt als legitimen Ausgangspunkt des Rechts zu verstehen, umdreht und das Recht als Endprodukt definiert.(31) Hierbei ist es wichtig hinzuzufügen, dass Benjamin die Begriffe „Staat“ und „Recht“ synonym verwendet.(32)
Walter Benjamin sieht im Gewaltmonopol ein Merkmal der Rechtsverhältnisse seiner Zeit, wie sie sich in Europa bemerkbar machten. Die ausgeübte Gewalt erhält seiner Meinung nach aufgrund zweier Faktoren seine „Geltung“, nämlich der „rechtssetzenden“ und „rechtserhaltenden“ Gewalt.(33)
In der Gewalt selbst sieht er, sobald sie als zwingende Macht mit moralischer Legitimität auftritt, eine Möglichkeit, innerhalb von Gesellschaften Veränderungen durchsetzen oder erzwingen zu können.(34)
Die von Benjamin verwendeten Begriffe der „rechtssetzenden“ und „rechtserhaltenden“ Gewalt werden mit den „Institutionen des Rechts“ in Verbindung gebracht. Dieses Recht, bzw. der Staat, ist auf eine „zwingende Macht“ angewiesen um so eine „Institutionalisierung“ und eine „Reproduktion“, womit eine Erhaltung gemeint ist, durchsetzen zu können. Eine Legitimierung dieser beiden Gewaltdefinitionen beruht - seinen Ausführungen zufolge - letzten Endes auf einer „unbefragten Herrschaft des Rechts“.(35)
In seinen Ausführungen beschränkte sich Walter Benjamin, wie bereits kurz angedeutet wurde, auf den europäischen Bereich. Als „markanteste Instanz“ wird die Polizei, mit ihrer Erlaubnis Gewalt als ordnungserhaltendes Mittel einzusetzen, gesehen. Er sieht jedoch eine Auflösung der Grenzen zwischen „rechtssetzender“ und „rechtserhaltender“ Gewalt innerhalb der Befugnisse der Polizei. Er geht sogar soweit, den Exekutivkräften von Demokratien einen Machtmissbrauch vorzuwerfen, den es in einer Monarchie nicht geben würde.(36)

Walter Benjamin kommt -wie es Axel Honneth formuliert - zu dem Schluss, dass ein „Rechtsstaat nach europäischen Muster bei einem strikt positivistischen Selbstverständnis nicht dazu in der Lage ist, legitime Formen der Gewaltausübung eindeutig zu bestimmen, weil unter dem Gesichtspunkt faktischer Geltung stets wieder neue, systemsprengende Quellen der gewaltförmigen Rechtsetzung anerkannt werden müssen.“(37)
Benjamin versuchte sich in einer Kritik des Rechts „im Ganzen“ mit dem Ergebnis, dass die einzig moralisch legitimierte Gewalt eine göttliche sei.(38) Dennoch hat laut Aussage  Wolf-Dieter Narr‘s Walter Benjamin „trefflich gezeigt, wie massiv und mit welchen Effekten staatliche Gewalt überall und dauernd anwesend ist.“(39)

Norbert Elias:

„Ich bevorzuge den Vorschlag, dass unsere Nachfahren, falls die Menschheit die Gewalttätigkeit unseres Zeitalters überleben kann, uns als die späten Barbaren betrachten würden.“
                                    - Norbert Elias - (40)

Der berühmte Soziologe Norbert Elias beschrieb das staatliche Gewaltmonopol als eine „sozial-technische  Erfindung“ der Menschheit, welche ohne gezielte Planung, im Verlauf von mehreren Generationen entstanden ist.(41) Dabei wurde er von den Ideen Max Webers beeinflusst, was sich in seinen Konzepten bezüglich des Gewaltmonopols niederschlug. Aber während sich Weber auf den „Staat“ konzentrierte, sowie seinen Funktionen, ermittelte Elias den Prozess der Staatswerdung und somit auch den der Monopolisierung von Gewalt.(42)
Seine Theorie zur Staatsbildung formulierte er im zweiten Band seines Werkes „Über den Prozess der Zivilisation“ aus; er beanspruchte jedoch keinen Gültigkeits- sondern lediglich einen Wahrscheinlichkeitscharakter für seine Ausführungen.(43)
Elias war der Auffassung, dass, durch die Reichs- und Staatenbildung im Mittelalter und in der Neuzeit, die Potentaten der einzelnen Länder dazu gezwungen waren ihre Gebiete zu pazifizieren, um somit eine Konkurrenzfähigkeit zu gewährleisten. Diese Pazifizierung war ihrerseits nur möglich, indem innerhalb der Länder die Gewalt monopolisiert wurde.(44)
Eine Monopolisierung der Gewalt führte aber auch zu einem Wettkampf der Eliten über deren Kontrolle. Es war - Elias zufolge - ein Kampf um das soziale Überleben bei dem der Gewinner die Schlüsselposition sowie die Gewaltbefugnisse erhielt. Diese Schlüsselposition, oder besser gesagt eine „hoch zentralisierte Koordination“ der Gewalt, gewährleistete eine Absicherung, dass soziale Spannungen nicht zu kriegerischen Auseinandersetzungen führen würden.(45)
Die Monopolisierung der Gewalt wird in zwei Phasen unterteilt, wobei in der ersten Phase ein freier Wettkampf und Eliminationsprozess stattfindet, während in der zweiten Phase eine Übergabe des Monopols von Individuen an die Gemeinschaft erfolgt. Dadurch wird der administrative Apparat vergrößert und unter eine größere Kontrolle der Bevölkerung gestellt. Folglich wird der Adel langsam an den Hof geleitet und in den Einflussbereich des Herrschers gezogen, womit eine Pazifizierung des Kriegsadels eingeleitet wird. Diese „Verhöflichung“ erfolgte vom 11.-18. Jahrhundert und ermöglichte dem König eine Konsolidierung seiner Macht, die letzten Endes zu einer Absoluten Monarchie ausgebaut werden konnte. Dies war nur möglich, da aufgrund der vergrößerten Administration die Interdependenzen untereinander wuchsen und es zu Machtkämpfen um die Gunst des Herrschers kam. Dieser musste nur noch mittels, des von der Literatur genannten, „royale Mechanismus“ die Untergebenen untereinander ausspielen.(46)

Ein Monopol über die Mittel der Gewalt ist laut Elias jedoch nie von absolutem Charakter. Es wird einmal mehr, einmal weniger erfolgreich durchgesetzt. Abgesehen davon setzt mit der erfolgreichen Monopolisierung von Gewalt sofort ein Konkurrenzkampf um diese ein, bzw. werden Versuche unternommen diese zu unterminieren.(47)
Der Prozess einer Herausbildung von „Monopolinstituten“ ist laut Elias auch heutzutage nicht abgeschlossen. Hierbei sind Staaten „Monopolinstitute“ der physischen Gewalt, womit ihnen die Funktion der Verteidigung und des Angriffes zugewiesen wird.(48)
Elias hat Kämpfe zwischen den Menschen ohnehin als entscheidenden Faktor der menschlichen Entwicklung verstanden; eine Auffassung, die er sich mit Max Weber teilte. Auch der Standpunkt, dass der „Niedergang des Absolutismus“ das staatliche Gewaltmonopol nicht zu schwächen vermochte, und dadurch der Staat zur „zentralistischen bürokratischen und verrechtlichenden >>Leitinstitution<< aller Gesellschaften“ wurde, findet sich in Webers Sichtweisen wieder. Karl-Siegbert Rehberg meint hierzu, dass „Er [Elias Anm.] hat den Staat als Resultat und Bedingung von sozialen Ausscheidungskämpfen begriffen, was den Ansatz Max Webers produktiv fortführt.“(49)

Norbert Elias‘ Werk zum „Prozess der Zivilisation“ kann als evolutionäres Gesellschaftskonzept gesehen werden. Dieses evolutionäre Denken muss man aber laut Jonathan Fletcher im Sinne von „Langzeit Kontinuitäten sowie Differenzierungs- und Integrationsprozessen“ verstehen.(50)
In diesem Sinne hat - laut Elias - der moderne Staat in seiner Entwicklung die „feudale Anarchie“ sowie „religiöse Bürgerkriege“ hinter sich gelassen, indem er „das Monopol des legitimen physischen Zwanges“ durchgesetzt hat.(51) Dieser Progress wird aber als ein „reiner“ Fortschritt dargestellt und „blendet“ die durch Kriege und Konflikte verursachten „Kollateralschäden“ [so wie es Wolf-Dieter Narr nennt Anm.] an der Menschheit aus.(52)
Der Zivilisationsprozess hängt also maßgeblich von der Kontrolle der Gewalt ab. Diese ist in ihrer legitimierten Form nur einem begrenzten Personenkreis, wie zum Beispiel der Armee oder der Polizei, zugänglich. Der Rest der Menschen wird in seinem Verhalten so konditioniert, dass bezüglich der Gewalt Gefühle der Abneigung und der Schuld entstehen. Schließlich drücke sich nämlich in der Gewalt die Angst vor dem Tode aus.(53)

Das Gewaltmonopol - eine Bilanz:

Dass es in der Geschichte keine monokausalen Zusammenhänge gibt, wird durch die Entwicklung des staatlichen Gewaltmonopols trefflich vor Augen geführt. Seien es wirtschaftliche Phänomene, wie die Herausbildung einer finanzkräftigen Wirtschaft, die hohe Steuererträge und ein florierendes Bankwesen ermöglichte, oder soziale Gründe, wie die Bindung des Adels an den Hof des Herrschers; die Entwicklung des Gewaltmonopols wurde durch das Zusammenwirken mehrerer Kausalzusammenhänge begünstigt, deren Wurzeln im politischen, militärischen, wirtschaftlichen sowie sozialen Umfeld anzutreffen sind. Im Idealfall wurden diese Gründe in diesem Abschnitt ausreichend skizziert.
Die Verstaatlichung des Militärwesens wird von Forschern, die einen weberianischen Standpunkt vertreten, als ein „logisch, evolutionärer Schritt“ verstanden. Herfried Münkler bemerkt hierzu aber, dass meistens nur die Frage nach dem „Wann?“ gestellt wird und nicht nach dem „Ob?“. Denn es ist nicht nur von Bedeutung, wann eine Staatenbildung im Gange ist, sonder auch ob überhaupt eine stattfindet. Im Zuge seiner Studien zum Phänomen der „neuen Kriege“ bekommen diese Fragen insofern eine Relevanz, als in den schwelenden Konflikten - seien sie in Afrika oder dem Nahen Osten - dezidiert nur „Staatsbildungskriege“ gesehen werden.(54)
Wenn diese Konflikte aber durch eine Entstaatlichung von Gewalt bzw. ihrer Privatisierung am Leben erhalten bzw. erst ermöglicht werden, dann sollte die Abgabe der militärisch/staatlichen Gewalt an private Firmen einer kritischen Hinterfragung unterzogen werden. Denn die Tendenzen einer Kumulierung von Gewalt von Seiten des Staates haben sich, wie die nachfolgenden Erläuterungen zeigen werden, bereits deutlich umgekehrt. War es vorher nur der Staat, der sich teures Know How leisten konnte, so hat sich dieser Umstand nun geändert und findet in den modernen Sicherheits- und Militärfirmen eine krasse Umkehr der Gegebenheiten. Mittlerweile sind diese Konzerne flexibler und vermögender, als es irgendein staatlicher Verteidigungsetat zulassen würde. In Forschungskreisen herrscht also nicht zu Unrecht eine Beunruhigung über die momentanen Entwicklungen auf dem Sektor der militärischen und staatlichen Sicherheit.

DCJ
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Endnoten:

1) zit. nach: Detlef Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol. In: Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, Eine Sammlung von Vorträgen und Schriften aus dem Gebiet der gesamten Staatswissenschaften, Bd. 442/443, Tübingen 1975. S. 55.
2) Detlef Merten, Rechtstaat und Gewaltmonopol. S. 29.
3) Andreas Anter. S. 44.
4) Detlef Merten. S. 31.
5) John Hoffmann, A Glossary of Political Theory. Edinburgh 2007. S. 56.
6) Detlef Merten. S. 33.
7) Ebda.
8) John Hoffmann, A Glossary of Political Theory. S. 171f.
9) Detlef Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol. S. 35f.
10) Detlef Merten. S. 56f.
11) John Hoffmann, A Glossary of Political Theory. S. 92f.
12) John Hoffmann. S. 174.
13) Detlef Merten. S. 38ff.
14) Werner Ruf, Politische Ökonomie der Gewalt. Staatszerfall und Privatisierung von Gewalt und Krieg, In: Derselbe (Hg.), Politische Ökonomie der Gewalt. Staatszerfall und Privatisierung von Gewalt und Krieg, Obladen 2003, S. 19.
15) Detlef Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol. S. 67.
16) Trutz von Trotha, Die präventive Sicherheitsordnung. In: Werner Ruf (Hg.), Politische Ökonomie der Gewalt. Staatszerfall und Privatisierung von Gewalt und Krieg, Obladen 2003, S. 55f.
17) Trutz von Trotha. Die präventive Sicherheitsordnung. S. 71.
18) zit. nach:  Rainer Schmidt, Die politische Theorie der Rationalisierung: Max Weber, In: André Brodocz, Gary S. Schaal (Hg.), Politische Theorien der Gegenwart I. Eine Einführung, Obladen 2004, S. 379.
19) Andreas Anter. Max Webers Theorie des Modernen Staates. S. 40.
20) Andreas Anter. S. 35.
21) Andreas Anter. S. 38f.
22) Andreas Anter. S. 40. Vgl. hierzu: Rainer Schmidt. S. 382.
23) Rainer Schmidt. S. 380.
24) Ebda.
25) Rainer Schmidt. S. 381.
26) Andreas Anter. S. 36.
27) Andreas Anter. S. 41.
28) Andreas Anter. S. 46.
29) Zit. nach: Walter Benjamin, Zur Kritik der Gewalt und andere Aufsätze. Frankfurt/ Main 2. Aufl. 1971, S. 57.
30) Axel Honneth, „Zur Kritik der Gewalt“. In: Burkhardt Lindner (Hg.), Benjamin-Handbuch. Leben-Werk-Wirkung, Stuttgart, Weimar 2006, S. 193.
31) Axel Honneth. S. 194.
32) Burkhardt Lindner, Derrida. Benjamin. Holocaust. Zur Dekonstruktion der „Kritik der Gewalt“, In: Klaus Garber, Ludger Rehm (Hg.), Global Benjamin. Bd.3, München 1999, S. 1696.
33) Ebda.
34) Axel Honneth. S. 195.
35) Axel Honneth. S. 196.
36) Axel Honneth. S. 203. In diesem Vorwurf kann man sicherlich einen Spiegel der damaligen Zeit und den Auffassungen der Menschen sehen.
37) Axel Honneth. S. 204.
38) Axel Honneth. S. 209.
39) Wolf-Dieter Narr. S. 494.
40) Zit. Nach: Artur Bogner, Die Theorie des Zivilisationsprozesses als Modernisierungstheorie. In: Helmuth Kuzmics, Ingo Mörth (Hg.), Der unendliche Prozeß der Zivilisation. Zur Kultursoziologie der Moderne nach Norbert Elias, Frankfurt, New York 1991, S.47.
41) Jonathan Fletcher. S. 32.
42) Ebda.
43) Artur Bogner. S. 38f.
44) Jonathan Fletcher. Violence and Civilization. S. 33.
45) Jonathan Fletcher. S. 34.
46) Jonathan Fletcher. S. 34f. Vgl. Artur Bogner. S. 54.
47) Jonathan Fletcher. S. 35.
48) Artur Bogner. S. 48ff.
49) Karl-Siegbert Rehberg, Prozeßtheorie als >>Unendliche Geschichte<<. Zur soziologischen Kulturtheorie von Norbert Elias, In: Helmuth Kuzmics, Ingo Mörth (Hg.), Der unendliche Prozeß der Zivilisation. Zur Kultursoziologie der Moderne nach Norbert Elias, Frankfurt, New York 1991, S.62 und 64.
50) Jonathan Fletcher. Violence and Civilization. S. 44. Vgl. Karl-Siegbert Rehberg. S. 63.
51) Karl-Siegbert Rehberg. S. 64.
52) Wolf- Dieter Narr. S. 494.
53) Jonathan Fletcher. S. 52f. vgl. Karl-Siegbert Rehberg. S.67.
54) Herfried Münkler, Die neuen Kriege. S. 101.